19.12.2023  LIQUI MOLY HBL

„Es gibt als Nachwuchsspieler keine bessere Plattform als die HBL", meint U21-Weltmeister Elias Scholtes

Den 2. Juli 2023 wird Elias Scholtes nie vergessen: Der gebürtige Bruchsaler stand als U21-Weltmeister auf dem Siegerpodest in der Berliner Max-Schmeling-Halle. Mit sechs Treffern in nur 16 Spielminuten – darunter jenem bereits legendären Hammer zum 14:11 mit dem Halbzeitpfiff - hatte der Linkshänder großen Anteil am 30:23-Finalerfolg über das Nationalteam von Ungarn. „Der Junge macht Sachen, die andere nicht können, ein bisschen ein Typ wie Christian Zeitz“, lobte U21-Bundestrainer Martin Heuberger den 20-Jährigen, der seit Februar 2023 für den Bergischen HC aufläuft. Scholtes und die Nachwuchsarbeit der Bergischen Löwen stehen im Fokus des zweiten Teils der neuen HBL-Serie „Auf dem Sprung“.

Es ist auch die Geschichte davon, wie nahe Freud‘ und Leid zusammenliegen können: Denn nur wenige Wochen nach dem bisher größten Tag seiner Karriere wird Elias Scholtes jäh ausgebremst – Mittelfußbruch noch vor dem Saisonstart. Mehrere Monate Pause, Comeback im Oktober.

„Es war das vorletzte Vorbereitungsspiel vor der laufenden Saison. Die Ermüdungsfraktur kam urplötzlich während dem Spiel ohne irgendwelche großen Vorwarnungen“, blickt Scholtes auf den Moment zurück: „Ich hatte eine tolle Vorbereitung mit dem BHC und hatte mich auch persönlich weiterentwickelt bei der WM. Dann noch mal ausgebremst zu werden, gerade so kurz und knapp vor der Saison ist natürlich umso ärgerlicher.“  

Es war nicht die erste längere Ausfallzeit in der noch jungen Karriere von Scholtes. Als 15-Jähriger musste er sich im November 2018 als Juniorenspieler der Rhein-Neckar Löwen einer Knorpel-OP im linken Knie unterziehen, die ihn mehrere Monate außer Gefecht setzte. Nun hieß es wieder zurückkämpfen: „Natürlich war Elias niedergeschlagen am Anfang, zumal er auch in der Vorbereitung einen sehr guten Stiefel gespielt hat, auf einem sehr guten Weg war. Wir hatten die Idee, ihn auch immer mehr ins Abwehrsystem zu integrieren. Und dann kam dieser Fußbruch“, sagt BHC-Trainer Jamal Naji.

Scholtes biss auf die Zähne: „Wer mich da auf jeden Fall super unterstützt hat auf dem Weg zurück auf die Platte, ist Seve, unser Physiotherapeut, mit dem arbeitete ich seit dem Tag der Verletzung zusammen. Wir gaben und geben täglich Gas. Er behandelte mich, er arbeitet mit mir in der Halle, er beobachtet mich beim Krafttraining, damit da alles so lief, wie es sollte.“ Seve ist Severin Feldmann, einer der Physios beim Bergischen HC – auch er hatte viel Spaß dabei, Elias Scholtes auf dem Weg zum Comeback zu begleiten: „Er ist ein witziger Kerl. Manchmal ein bisschen verballert, vergisst das ein oder andere, aber das kriegen wir alles geregelt.“

Mit 13 Treffern in den ersten vier Spielen feierte Scholtes ab Oktober 2023 ein starkes Comeback – das findet auch Trainer Jamal Naji: „Elias hat einfach da weitergemacht, wo er aufgehört hat. Natürlich hatten wir uns ein bisschen Entlastung für Djibril M’Bengue erhofft, aber dass Elias dann direkt so dominant war, ist schon echt bemerkenswert.“ Der Weg ins Bergische Land war für Elias Scholtes eigentlich später geplant – zum Saisonstart 2023/24 sollte von den Rhein-Neckar Löwen kommen, aber kurzfristig wurde der Transfer vorgezogen, so dass Scholtes im Februar 2023 sein Debüt beim BHC gab. Zuvor hatte er bei keinem anderen Verein als den Rhein-Neckar Löwen gespielt, seit seinem zwölften Lebensjahr durchlief der Rückraumspieler alle Nachwuchsteams der Badener, ehe er im März 2022 seinen ersten Profi-Vertrag bei den Löwen unterschrieb. Sein Profi-Debüt hatte er bereits zuvor gegeben, im Februar 2021 beim European League-Spiel gegen die Kadetten Schaffhausen.

Kurz vor der U20-EM 2022 feierte er sein Debüt im Junioren-Nationalteam des DHB, spielte dann eine starke Europameisterschaft, fiel vor allem mit seinen zehn Treffern gegen Island auf. Bei der U21-WM im eigenen Land gehörte Scholtes zunächst zum erweiterten Kader, ehe er ab der Turniermitte immer mehr Spielanteile erhielt – und dann im Finale seinen großen Tag hatte: „10.000 Menschen in Berlin. Das war einmalig. Der größte Moment in meiner WM-Geschichte war natürlich das Tor vor der Halbzeit im WM-Finale. Da habe ich noch alle Bilder im Kopf. Das spielt sich dann wie in Zeitlupe ab, wie der Ball dann doch noch in letzter Sekunde eingeschlagen ist und die ganze Halle getobt hat.“

In der Halle war auch BHC-Geschäftsführer Jörg Föste, der gleichzeitig Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes ist – und der war mächtig stolz: „Elias hat seine Chance beim Schopf ergriffen und im Finale eine außerordentliche Leistung gezeigt.“ Scholtes ist ein Beispiel dafür, wie junge deutsche Spieler beim BHC integriert werden, wie sein Altersgenosse Aron Seesing, der mit Scholtes in der Junioren-Nationalmannschaft spielte, oder Spieler wie Lukas Stutzke, Tim Nothdurft oder Yannick Fraatz. „Gefühlt war es so, dass wir in der Vergangenheit vielleicht dem dänischen, dem schwedischen, den isländischen Spieler im gleichen Alter aus irgendeinem Grund mehr Potenzial zugesprochen haben. Die Erfahrung zeigt einfach, dass wir da mutiger sein können und auch auf den eigenen Nachwuchs setzen können“, bricht Trainer Naji eine Lanze für junge deutsche Spieler.

Die Zukunftsspieler werden beim Bergischen HC in der eigenen Akademie ausgebildet – allerdings in einigen Bereichen etwas anders als bei anderen HBL-Clubs, betont Christoph Rath, der Nachwuchskoordinator beim BHC: „Wir haben kein Internat, das heißt, unsere Nachwuchsspieler kommen aus einem Umkreis von 30-40 Kilometer. Das ist natürlich anders als bei anderen Vereinen, die bundesweit Talente verpflichten, aber dass die Jungs alle aus der Region kommen, ist unglaublich wichtig für die Identifikation mit dem Verein.“ Dass der BHC dennoch im Nachwuchsbereich mit den Großen der Zunft mithalten kann, belegt die Tatsache, dass die A-Jugend seit Gründung der Bundesliga permanent qualifiziert ist, zuletzt zweimal die Meisterrunde erreichte. 2007 – also nur ein Jahr nach der Gründung des Vereins durch die Fusion der SG Solingen und des LTV Wuppertal – wurde der BHC sogar deutscher A-Jugendmeister. „Wir sind mit allen unseren Jugendmannschaften in den höchsten Spielklassen vertreten, das ist wichtig für die kontinuierliche Entwicklung der Spieler“, sagt Rath.

Ein wichtiger Baustein im BHC-Nachwuchskonzept ist die enge Kooperation mit der Friedrich-Albert-Lange-Schule in Solingen, einer NRW-Sportschule. Die Profis von morgen können dort quasi täglich trainieren, Handball ist ein Wahlpflichtfach und somit in den Unterricht integriert. 2022 wurden die Solinger deutscher Schulmeister in der C-Jugend, 2023 deutscher Vizemeister. Einer der Handball-AG-Trainer ist der frühere BHC-Profi Max Ramota –generell legt man im Verein großen Wert darauf, ehemalige Spieler in das Trainerteam zu integrieren. Jüngstes Beispiel ist Arnor Gunnarsson, Ex-Profi und mittlerweile als EHF-Masters-Coach-Inhaber Trainer der B-Jugend. „Auch das sorgt im Nachwuchsbereich für eine hohe Identifikation“, sagt Rath. Die gesamte Nachwuchsausbildung von den Minis bis in den leistungssportlichen Bereich steht wie der Profibereich unter dem Motto „Die Kraft in uns“. Denn: „Wir wollen möglichst viele unserer späteren Profis selbst ausbilden, diese Kraft soll von uns, also aus dem Verein, kommen. Natürlich ist der Sprung in die Bundesliga sehr groß, aber wir versuchen den Anschluss so oft wie möglich zu erreichen“, sagt Rath.

Ein Beispiel dafür ist Aaron Exner, der aus dem eigenen Nachwuchs in den Bundesligakader kam. Die Totalente des Vereins – egal, ob 16 oder 22 Jahre alt – werden einmal pro Woche von Jamal Naji trainiert, um individuell weiterzukommen. „Wir müssen den jungen Spielern die Möglichkeit geben, sich auf diesem Niveau zu behaupten. Ich glaube aber auch, dass da ein Umdenken stattgefunden hat bei den meisten Bundesligaclubs. Es sind ja nicht nur wir, die das tun. Die Füchse Berlin zeigen das sehr eindrucksvoll“, sagt Naji.

Um den Sprung aus der viertklassigen U23 zum Bundesligateam nicht zu groß werden zu lassen, ist der BHC eine Partnerschaft mit dem Drittligisten TV Opladen eingegangen, wo aktuell immer drei bis vier Spieler aus dem BHC-Nachwuchs auflaufen.

Diese intensive Nachwuchsförderung war auch für U21-Weltmeister Elias Scholtes ein Grund für seinen Wechsel ins Bergische Land: „Ausschlaggebend war natürlich die sportliche Perspektive, die mir hier geboten wurde. Ich habe natürlich im Vorfeld schon mit Jörg Föste und Jamal geredet, in welche Rolle ich hier hineinschlüpfen könnte. Und das war einfach überzeugend, was sie mir immer da versprochen haben und dann auch eingehalten haben. Also ich bin rundum glücklich mit der Entscheidung.“ Trotz der großen Konkurrenz in der „stärksten Liga der Welt“ hält Scholtes die Bundesliga dennoch für die richtige Startrampe für deutsche Nachwuchsspieler: „Aus meiner Sicht kann man sich als junger Spieler in der HBL super weiterentwickeln. Ich bin hier beim BHC herzlich aufgenommen worden. Ich werde hier für voll genommen. Ich habe hier eine Rolle im Team. Ich darf Spielminuten sammeln, wenn ich gute Leistungen zeige und dementsprechend gibt es ja keine bessere Plattform, sich auf höchstem Niveau beweisen zu können.“

Nachdem er als Kind viele verschiedene Sportarten wie Fußball, Schwimmen oder Tennis ausprobiert hat, blieb Elias Scholtes dem Handball treu – und früh hatte er auch seinen Traum, einmal Profi zu werden: „Das hat sich früh abgezeichnet, dass ich das Ganze zum Beruf machen wollte. Ich war einfach fasziniert von den Profis.“ Und nachdem er nun U21-Weltmeister geworden ist und nach seiner Verletzung in der Bundesliga wieder richtig angreift, hat der 20-Jährige natürlich noch weitere Ziele: „Wenn man schon mal Nationalmannschaftsluft geschnuppert hat, ist es natürlich auch der Traum, bei der A-Nationalmannschaft mit dabei sein zu dürfen. Egal wie lange und wie aussichtslos der Weg irgendwie scheint, es gibt irgendwann immer Licht am Ende des Tunnels und dafür lohnt es sich zu arbeiten.“

Folge 2 ist ebenso wie alle übrigen Folgen der Bewegtbildstaffel zur HBL-Nachwuchsarbeit auf dem YouTube Kanal der LIQUI MOLY HBL abrufbar. Die Folge 3 wird am kommenden Dienstag, 26. Dezember veröffentlicht. Dann im Fokus: David Späth, U21-Weltmeister und DHB-Pokalsieger von den Rhein-Neckar Löwen.     

Foto: Mhoch4